Rechenzentren im All: Jeff Bezos’ Vision – technische und physikalische Grenzen

Der Energiehunger der Künstlichen Intelligenz wächst rasant – und mit ihm die Suche nach neuen Standorten für Rechenzentren. Amazon-Gründer Jeff Bezos sieht die Zukunft nicht mehr auf der Erde, sondern im All: Im Orbit sollen solarbetriebene Gigawatt-Rechenzentren entstehen, die rund um die Uhr Energie aus Sonnenlicht nutzen. Doch hinter der Vision liegen gewaltige technische, wirtschaftliche und physikalische Hürden.

KI-Boom als Treiber wachsender Energienachfrage

Amazon-Gründer Jeff Bezos hat auf der Italian Tech Week 2025 in Turin erklärt, dass in den kommenden ein bis zwei Jahrzehnten gigawattgroße Rechenzentren im Orbit entstehen könnten. Diese sollen vollständig mit Solarenergie betrieben werden. Bezos geht davon aus, dass sie langfristig kostengünstiger als terrestrische Anlagen sein könnten.

„Wir werden beginnen, diese riesigen Gigawatt-Datacenter im Weltraum zu bauen … und die Kosten werden innerhalb weniger Jahrzehnte unterhalb der erdgebundenen Zentren liegen“, sagte Bezos in Turin.

Seine Begründung: Im All sei Solarenergie rund um die Uhr verfügbar, da keine Nachtzyklen, Wolken oder Witterung die Stromproduktion unterbrechen.

„Diese großen Trainingscluster werden besser im All gebaut, weil wir dort Solarenergie rund um die Uhr haben. Keine Wolken, kein Regen, kein Wetter“, so Bezos.

Bezos bezieht sich auf den wachsenden Energiebedarf der weltweiten IT-Infrastruktur.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich der Stromverbrauch von Rechenzentren bis 2030 auf rund 945 Terawattstunden verdoppeln – das entspricht in etwa dem heutigen Stromverbrauch Japans (IEA, Energy and AI Report, 2024).

Futuristisches orbitales Rechenzentrum mit großflächigen Solarpaneelen über der Erde bei Sonnenaufgang – Konzept für solarbetriebene Datacenter im All
Konzeptdarstellung eines orbitalen Rechenzentrums: Jeff Bezos will künftig KI-Datenverarbeitung ins All verlagern, wo Solarenergie ununterbrochen zur Verfügung steht. (Symbolbild / Quelle: generative Darstellung)

Energie im Überfluss – aber keine Lösung für Wärme

Im erdnahen Orbit (LEO) steht Sonnenenergie nahezu ununterbrochen zur Verfügung. Doch die technische Herausforderung liegt weniger in der Energiezufuhr als in der Energieabfuhr, bzw. Kühlung.

Rechenzentren erzeugen kontinuierlich Abwärme, die auf der Erde über Luft oder Wasser abgeführt wird. Im Weltraum fehlt jedoch ein Medium für Konvektion, weshalb Wärme ausschließlich über Infrarotstrahlung abgegeben werden kann.

Zum Vergleich: Die Radiatoren der Internationalen Raumstation (ISS) können etwa 70 Kilowatt thermische Energie abstrahlen – das ist weniger als ein Zehntausendstel der Wärmeleistung, die ein Rechenzentrum im Gigawattmaßstab erzeugen würde (NASA, ISS Thermal Control System Overview).

Eine solche Infrastruktur würde daher gewaltige Radiatorflächen und komplexe Regelkreisläufe benötigen – ein bislang ungelöstes ingenieurtechnisches Problem.

Strahlung und Hardwarealterung

Elektronische Systeme im All sind intensiver kosmischer und solarer Strahlung ausgesetzt. Geladene Teilchen können Speicherzellen stören und sogenannte Bit-Flips auslösen.

Beispiele aus der Praxis liefern Projekte von Hewlett Packard Enterprise (HPE) und der NASA:

  • Der Spaceborne Computer-1 wurde 2017 auf die ISS gebracht, um zu testen, ob handelsübliche Server (COTS-Systeme) unter Weltraumbedingungen zuverlässig arbeiten.
  • Laut NASA- und HPE-Berichten absolvierte das System eine 615-tägige Mission, bei der es zeitweise zu Fehlfunktionen und Speicherfehlern kam (NASA Podcast „Houston We Have a Podcast“, 2021).
  • Die Nachfolgemission Spaceborne Computer-2 testete erweiterte Funktionen, darunter KI-gestützte Datenverarbeitung und autonome Wiederherstellung (HPE Spaceborne Program).

Im August 2025 brachte das US-Unternehmen Axiom Space die Data Center Unit One (AxDCU-1) zur ISS. Das schuhkartongroße Modul erprobte speichereffiziente Rechenoperationen unter Strahlungseinfluss.
Wie The Register berichtet, seien all diese Systeme jedoch „miniaturisierte, stromoptimierte Prototypen“ und „nichts, was den Gigawatt-Datenstationen entspricht, von denen Bezos spricht“ (The Register, 3.10.2025).

Physikalische Grenzen: Die Latenz bleibt

Während Energie im All im Überfluss vorhanden wäre, lässt sich die Lichtlaufzeit nicht reduzieren.
Die Entfernung zwischen Erde und Rechenzentrum führt zu unvermeidlicher Signalverzögerung:

  • In niedrigen Erdumlaufbahnen (LEO) liegt die Latenz bei 20–40 ms,
  • in der geostationären Umlaufbahn (GEO) bei über 600 ms.

The Register merkt an, dass dies „eine Ewigkeit im Vergleich zu terrestrischen Datacenter-Netzwerken“ sei.
Solche Verzögerungen sind für Echtzeitanwendungen oder interaktive Dienste untragbar, könnten aber für KI-Trainingsprozesse, Batch-Verarbeitung oder Rendering noch akzeptabel sein.

Bezos selbst räumt das ein:

„Für bestimmte Workloads unhaltbar – für andere, weniger latenzempfindliche, energiehungrige Aufgaben ideal.“

Automatisierung und Wartung im Orbit

Bezos’ Raumfahrtunternehmen Blue Origin entwickelt Schwerlastraketen wie New Glenn, die künftig den Transport der Komponenten übernehmen sollen.
Ein orbitales Rechenzentrum müsste jedoch weitgehend autonom betrieben werden. Wartungsarbeiten, Modulwechsel und Software-Updates wären nur über robotische Systeme realisierbar.

Laut der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) sind autonome Serviceroboter zwar in Entwicklung, aber bisher nur in begrenztem Maßstab einsatzfähig (ESA, Automation and Robotics Programme).
Der Aufbau komplexer, selbstüberwachender IT-Infrastruktur im Orbit bleibt daher auf absehbare Zeit ein Forschungsziel, kein marktreifes Szenario.

Wirtschaftliche Dimension

Bezos geht davon aus, dass orbitale Anlagen langfristig kostengünstiger sein könnten, weil Energie frei verfügbar sei und keine Netzgebühren oder Kühlkosten anfallen.

Aktuell liegen die Startkosten pro Kilogramm Nutzlast jedoch noch bei etwa 2.000 US-Dollar. Selbst bei massiver Kostensenkung wären hunderte Starts nötig, um ein Rechenzentrum im Gigawattmaßstab aufzubauen.

The Register kommentiert nüchtern, dass die Realisierung solcher Anlagen „ökonomisch wie logistisch auf Jahrzehnte hinaus unwahrscheinlich“ sei.
Fachleute der Energie- und Raumfahrttechnik bestätigen, dass derzeit weder Infrastruktur noch Finanzierungsmodelle existieren, die einen solchen Betrieb in großem Maßstab ermöglichen.

Rechtliche und sicherheitstechnische Fragen

Neben technischen Hürden stellen sich auch juristische Fragen:

  • In welchem Land gilt das Datenschutzrecht für im Orbit gespeicherte Daten?
  • Wer haftet bei Kollisionen oder Ausfällen orbitaler Systeme?
  • Wie wird die Rückführung von Komponenten (Deorbiting) geregelt?

Die ESA und das UN Office for Outer Space Affairs (UNOOSA) beschäftigen sich mit der Formulierung freiwilliger Leitlinien für Weltraumnutzung, doch verbindliche Regelwerke für kommerzielle Rechenzentren im All existieren bislang nicht (UNOOSA Space Law Compendium, 2024).

Fazit: Rechenzentren im All bleiben Vision, nicht Infrastruktur

Jeff Bezos’ Vorstellung von solarbetriebenen Rechenzentren im Orbit ist technisch faszinierend, aber derzeit weder wirtschaftlich noch betriebspraktisch umsetzbar.

Die größten Hindernisse sind physikalischer Natur:

  • Wärmeabfuhr,
  • Strahlungsschutz,
  • Wartung im Vakuum
  • Signalverzögerung.

Wie The Register zusammenfasst, „mag das Konzept faszinieren, aber seine Umsetzung würde gewaltige Fortschritte in Werkstofftechnik, Energieverwaltung und Robotik erfordern“.

Bezos’ Vision verweist dennoch auf eine reale Entwicklung: Der Energiebedarf von KI und Cloud-Infrastrukturen wächst schneller, als die irdischen Stromnetze und Flächenkapazitäten mithalten können.
Ob die Lösung im Weltraum liegt oder in effizienteren terrestrischen Systemen, bleibt eine Frage der nächsten Jahrzehnte.

FAQ zu Rechenzentren im All

Was plant Jeff Bezos im Zusammenhang mit Rechenzentren im All?

Jeff Bezos will innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre gigawattgroße Rechenzentren im Weltraum errichten, die vollständig mit Solarenergie betrieben werden. Diese sollen langfristig kostengünstiger als bodengebundene Anlagen sein.

Wie begründet Bezos die Idee orbitaler Rechenzentren?

Bezos argumentiert, dass Solarenergie im Orbit 24 Stunden täglich verfügbar ist, da es dort keine Nacht, Wolken oder Wetterphänomene gibt. Damit könnten große KI-Trainingscluster dauerhaft mit Energie versorgt werden.

Wie hoch ist laut IEA der Strombedarf von Rechenzentren im Jahr 2030?

Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich der weltweite Stromverbrauch von Rechenzentren bis 2030 auf rund 945 Terawattstunden verdoppeln – das entspricht dem heutigen Strombedarf Japans.

Welche technischen Probleme entstehen bei Rechenzentren im Orbit?

Die größten Herausforderungen liegen in der Wärmeabfuhr, da es im Weltraum keine Konvektion gibt. Hinzu kommen Strahlungseinflüsse, Wartungsaufwand, die Notwendigkeit autonomer Systeme und hohe Startkosten.

Wie steht es um die Wärmeableitung im Weltraum?

Im All kann Wärme nur über Infrarotstrahlung abgegeben werden. Die Radiatoren der ISS schaffen etwa 70 Kilowatt Abwärme – ein Gigawatt-Rechenzentrum bräuchte also eine um Größenordnungen größere Fläche für Kühlung.

Welche Experimente wurden bereits durchgeführt?

HPE und NASA testeten mit dem Spaceborne Computer-Programm handelsübliche Server auf der ISS. Zudem brachte Axiom Space im August 2025 die Data Center Unit One (AxDCU-1) zur ISS, um Betrieb und Datensicherung im Orbit zu prüfen.

Wie wahrscheinlich sind Bezos' Pläne?

Die Idee ist faszinierend, aber wirtschaftlich und technisch auf Jahrzehnte hinaus unwahrscheinlich. Die Hürden sindzu groß, um kurzfristig umsetzbar zu sein.

Welche rechtlichen Fragen sind noch offen?

Ungeklärt ist, welches Datenschutzrecht für im Orbit gespeicherte Daten gilt und wie Haftung, Deorbiting und Weltraummüll geregelt werden. Die ESA und UNOOSA arbeiten an Richtlinien, jedoch ohne konkrete Vorgaben für Rechenzentren.

Welche Vorteile könnten solche Projekte langfristig haben?

Forschung zu orbitalen Solarsystemen, Strahlungsschutz und autonomer Wartung könnte Technologien hervorbringen, die auch terrestrische Rechenzentren effizienter und robuster machen.

Was ist das Fazit zur Realisierbarkeit?

Rechenzentren im All bleiben eine faszinierende Vision, sind derzeit aber weder wirtschaftlich noch technisch realisierbar. Sie verdeutlichen jedoch den steigenden Energiebedarf der KI und den Innovationsdruck auf die Branche.

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